Der Preis der Milch - Tierleid und -ausbeutung

Eine Kuh gibt nicht von allein Milch. Wie alle Säugetiere muss sie dazu erst ein Kind bekommen, das in der Regel unmittelbar nach der Geburt von ihr getrennt wird. Die männlichen Kälber erwartet die Kälber- oder Rindermast und ein früher Tod im Schlachthof, während den weiblichen Tieren eine Zukunft als Milchkuh bevorsteht. Die meisten Kühe verbringen ihr Leben als Produktionseinheit auf rutschigen Spaltenböden im Stall, ohne als Milchkuh jemals eine grüne Wiese zu sehen. Durch die unnormale Milchleistung, auf die sie gezüchtet wurden, leiden diese „Hochleistungskühe“ an verschiedensten Krankheiten. Die Milchproduktion weist einen enormen Verschleiß an Tieren auf. Nach fünf bis sechs Jahren und einigen Schwangerschaften sind die Milchkühe „verbraucht“. Unter normalen Umständen kann eine Kuh bis zu 20 Jahre alt werden.

Laut einer aktuellen Studie der EU (siehe unten) ist die Haltung von Kühen in Deutschland mangelhaft: Entzündete Euter, Verhaltensstörungen, lahmende Tiere, Fortpflanzungsprobleme und schlechte Zuchtauswahl. Trotz Kenntnis dieser Tatsachen beruhigt das Bundeslandwirtschaftsministerium den Verbraucher mit steuergeldfinanzierten Milchmarktstützungskampagnen, die das falsche Bild von glücklichen, gesunden Kühen auf grünen Wiesen vermitteln und den Milchabsatz künstlich steigern sollen. Jüngst beschlossene, millionenschwere Beihilfen aus Steuergeldern subventionieren das bemängelte System zusätzlich. Aktuelles Bildmaterial, welches abseits von pressewirksam vorbereiteten Hochglanzställen erstellt wurde, zeigt die wahren Zustände in Deutschlands Kuhställen und untermauert die Ergebnisse der EU-Studie.

Seit Jahrzehnten verwaltet die EU milliardenschwere Agrarsubventionen, Butterberge und Milchseen, doch nach der Gesundheit der Kühe fragte bisher niemand. Das hat sich nun mit der Veröffentlichung der wissenschaftlichen Untersuchung der „Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit“ EFSA geändert. Das Elend der Milchkühe in Deutschland und Europa ist nun behördlich dokumentiert. Der jahrzehntelange Kampf um Milchpreise und die damit einhergehende Zucht von immer unnatürlicheren Hochleistungskühen hat seinen Preis: systematisch kranke Kühe und Leiden im Stall.

Leidvolle Haltungssysteme, mangelhaftes Management, kranke Kühe, gesundheitsschädliche Zucht: dies ist das Ergebnis der wissenschaftlichen Gutachten der EFSA vom Juli 2009. Die in der Studie bemängelten Haltungssysteme und nur auf höhere Milchleistung gerichtete Zucht sind in Deutschland, Europas Milchhersteller Nummer eins, Standard. Weidehaltung gehört schon lange der Vergangenheit an und ist nur noch in Ausnahmefällen anzutreffen. Die überwiegende Mehrzahl der 4,2 Mio. Milchkühe in Deutschland lebt ganzjährig in Boxenlaufställen. Nur die Phase zwischen Kindheit und Geschlechtsreife erleben einige Milchkühe in den Sommermonaten auf der Weide. Danach stehen sie ganzjährig auf glitschigen, verdreckten Böden in engen Stallungen und werden krank. Die Zucht auf maximale Milchleistung wird von der EU-Studie ebenso als Ursache für Krankheiten und Verletzungen kritisiert.

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), wo das Gutachten seit Juli bekannt ist, versucht derweil das Bild von der glücklichen Kuh auf der grünen Wiese durch steuergeldfinanzierte Kampagnen in die Köpfe der Verbraucher zu implantieren und damit eine künstliche Nachfrage zu produzieren. Die am 19. Oktober 2009 in Brüssel beschlossenen Beihilfen in Höhe von 280 Mio. EUR wurden ebenfalls maßgeblich auf Drängen von Deutschland bewilligt. Diese sollen, so Aigner, nicht direkt an Bauern ausgezahlt, sondern ebenfalls für „absatzsteigernde Maßnahmen“ verwendet werden. Insgesamt werden 2009 für solche sogenannten Marktinterventionen 600 Millionen Euro EU-weit ausgegeben.

„Ohne gesunde Tiere keine gesunden Lebensmittel“, meint Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner auf ihrer Homepage. Wie es tatsächlich um die Gesundheit der Milchkühe bestellt ist, zeigen die abseits von für die Presse vorbereiteten Hochglanzställen heimlich erstellten Aufnahmen aus 3 Bundesländern und 5 Betrieben. Die Aufnahmen zeigen: Schwere Verletzungen, schlimme Euterentzündungen, lahme Kühe, ein Leben auf kotübersäten, glitschigen Böden, mangelnde Hygiene, Kälbchen isoliert von Müttern und Artgenossen, Milchkühe in Kettenhaltung.

Die Studie der EU und die Recherchen zeigen die schlimmen Zustände in deutschen Kuhställen. Politik und Werbung suggerieren lediglich Scheinwelten, die in der Praxis niemals machbar sein werden. Aber selbst wenn dies möglich wäre, dann bliebe der Fakt, dass Ställe niemals tiergerecht sein können.

Bio als Lösung?

Glückliche Biokühe auf grüner Wiese sind die Idealvorstellung des Vegetariers, der beim Einkauf penibel auf Produkte aus vermeintlich „artgerechter“ Tierhaltung achtet. Ein Blick nach Bayern verschafft Aufklärung: in 900 bayrischen Biobetrieben leben die Milchkühe in Anbindehaltung – und das ganz legal. Der Besuch eines Biobetriebs ist oft selbst für Verfechter des “artgerechten Einsperrens” und “tiergerechten Tötens” ernüchternd.

Und selbst, wenn die Unterschiede zur konventionellen Haltung tatsächlich so groß wären, wie die Bio-Werbung suggeriert: Das Grundproblem bleibt bestehen. Tiere sind auch in “bio” nur Waren, Gegenstände und Produktionsmaschinen. Sie dienen auch in “bio” uns Menschen, sind angeblich für uns da. Für Kühe heißt das konkret: Für die Erzeugung von Milch müssen sie zwangsgeschwängert, eingesperrt, von ihren Neugeborenen getrennt und nach einigen Jahren wegen wirtschaftlicher Unrentabilität getötet werden. Ebenso wie ihre männlichen Nachkommen, die als “Nebenprodukt” der Milcherzeugung anfallen und zwangsläufig als “Fleisch” getötet werden, da auch Bio-Landwirte sie nicht einfach um ihrer selbst willen 20 Jahre lang auf ihren Höfen füttern, bevor sie eines natürlichen Todes sterben.

Die EFSA-Studie

Laut Studie der EFSA sind die wesentlichsten Anzeichen für mangelhaften Tierschutz bei Milchkühen Lahmen und Mastitis (Euterentzündung) sowie Funktionsstörungen bei der Fortpflanzung, beim Stoffwechsel und in Bezug auf das Verhalten der Milchkühe.

Ein zu geringes Platzangebot, schwere Bein- und Fußkrankheiten durch Betonböden oder nassen bzw. mit Gülle verschmutzen Böden, mangelhafte Pflege und Hygiene stellen laut Gutachten die größten Gefahren für die Verursachung von Bein- und Fortbewegungsproblemen bei Milchkühen dar. Die lahmen Kühe haben „Schmerzen und größere Schwierigkeiten bei der Bewältigung ihrer Lebensbedingungen”¦ und sind anfälliger für reduzierte Fertilität, Mastitis und Stoffwechselkrankheiten“, schreibt die EFSA in ihrer “assung. Die nicht artgerechten Bedingungen (falls es so etwas wie "artgerechte" Haltung gäbe) in Boxenlaufställen und Anbindeställen gepaart mit Managementfehlern sind danach die Ursache der schon als obligatorisch zu bezeichneten Krankheiten.

Neben Bein- und Fußkrankheiten leiden Milchkühe laut EFSA häufig unter Euterproblemen. Nicht tiergerechte Ausgestaltung von Standplatz/Box und Platzmangel verursachen Trittverletzungen, unzureichende Hygenie und schlechte Melktechniken führen oftmals zu infektiösen Eutererkrankungen (Mastitis). Nicht nur die Haltungssysteme, sondern auch die auf hohe Milchleistung gerichtete genetische Auswahl sind der Kuhgesundheit abträglich. EFSA: „Langfristige genetische Auswahl mit dem Ziel hoher Milchleistung ist der Hauptfaktor, der bei Milchkühen schlechtes Wohlbefinden, insbesondere Gesundheitsstörungen, verursacht. Diese Auswahl hat auch zu Veränderungen der Körperform und Körpergröße von Milchkühen und damit zu veränderten Anforderungen an ihr Verhalten und andere adaptive Mechanismen geführt. Der Platzbedarf der Milchkuh hat sich vergrößert, und ihre Verwundbarkeit durch mechanische Einwirkungen und Wunden auf den äußeren Teilen des Körpers, der Haut, den Gliedmaßen und den Klauen haben zugenommen.“ Die Lahmheit, Euterentzündungen, Fortpflanzungsstörungen und Stoffwechselstörungen sind also auch die Folge einer krankhaften Zucht auf hohe Milchleistung. Zitat: „Es wurde festgestellt, dass die der Milchleistung zugrunde liegende genetische Komponente mit dem Auftreten von Lahmheit, Mastitis, Fortpflanzungs- und Stoffwechselstörungen positiv korreliert.“

Die Gutachten sind unter www.efsa.europa.eu zu finden. Wer sehen möchte, was Mastitis bedeutet, kann sich auf YouTube ein Video dazu ansehen (besonders gegen Ende interessant).